IV. Zurück ins Zentrum Europas. 1970 - 2007

Die Moderne hält im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts endgültig im Burgenland Einzug. Industrie siedelt sich an, Straßen und Schulen werden errichtet, 1972 wird die Nord-Süd-Verbindung fertig gestellt. Dem Glauben an den Fortschritt und der regen Bautätigkeit fallen allerdings viele landestypische Bauwerke zum Opfer, die traditionelle burgenländische Dorfstruktur wird vielerorts zerstört. Doch macht sich auch frühes Umweltbewusstsein bemerkbar, das Projekt einer Straßenbrücke über den Neusiedler See wird nach Protesten 1971 eingestellt.


NR. 17, 27.04.1983
Sinowatz wird Bundeskanzler
Der burgenländische Kulturlandesrat Fred Sinowatz, später österreichischer Unterrichtsminister und von 1983-1986 Bundeskanzler, leistet Pionierarbeit für die kulturelle Erschließung der Region. Sein Nachfolger Gerald Mader will „Kultur für alle“ und setzt die Errichtung der burgenländischen Kulturzentren gegen einigen Widerstand durch. 1976 wird das erste von insgesamt fünf in Mattersburg eröffnet. Nach seinem Ausscheiden aus der Politik verwirklicht Gerald Mader in den 80er Jahren das Projekt Friedensinstitut auf der Burg Schlaining, das sich zu einer umfassenden Universitätseinrichtung entwickelt und damit einer ganzen Region Impulse gibt.
Ebenfalls in den 70ern bzw. Anfang der 80er Jahre entstehen neben den von oben verordneten Kulturzentren autarke Einrichtungen, wie die Cselley Mühle (1976), die KUGA (1982), oder das OHO (1980).

In der ersten Hälfte der 80er Jahre erschüttern zwei Skandale das Image des aufstrebenden Burgenlandes. Die Pleite der Wohnbaugenossenschaft „Wohnbau-Ost“ ist einer der größten Wirtschaftskriminalitätsfälle Österreichs, in den auch einige ÖVP-Politiker verwickelt sind.
Weltweit großes Aufsehen erregt der Weinskandal im Jahr 1985. Dem Wein wurden illegale Substanzen beigemischt, der Export bricht nach der Entdeckung dieses „Glykolweins“ völlig zusammen. Die Weinwirtschaft braucht Jahre, um sich davon zu erholen.
Doch vor allem junge Weinbauern nutzen die Chance der Krise und machen die burgenländischen Weine in der Folge zu internationalen Spitzenprodukten.

Die Politik des Burgenlandes bestimmt bis 1987 der Landesvater Theodor Kery. Seit 1966 im Amt, ist er der Patriarch in einem klassischen Proporzsystem von SPÖ und ÖVP. Nach einer schweren Wahlniederlage tritt er zurück, sein Nachfolger wird Hans Sipötz, ebenfalls SPÖ. Er tritt allerdings nach der rechtskräftigen Verurteilung des ehemaligen Bundeskanzlers Fred Sinowatz im Zuge der Waldheim-Affäre 1991 zurück.
Der Rücktritt Kerys hatte den Beginn einer neuen Ära eingeleitet.


NR. 19, 10.05.1989
Der Fall des Eisernen Vorhangs
Zwei Jahre später folgt die nächste Zäsur: Der Fall des Eisernen Vorhangs beendet die burgenländische Isolation. Am 27. Juni 1989 durchschneiden der österreichische Außenminister Alois Mock und sein ungarischer Amtskollege Gyula Horn den Stacheldraht bei Klingenbach. Tausende DDR-Bürger nützen diesen Fluchtweg in den Westen.

Nachdem Sipötz 1991 zurücktritt, wird Karl Stix zum ersten Mal Landeshauptmann des Burgenlandes. Bis 2000 leitet er die Geschicke des Landes und ist vor allem Mitte der 1990er Jahre federführend bei den Verhandlungen rund um die Förderpakete im Rahmen des EU-Beitrittes. So erlebt das Burgenland mit dem EU-Beitritt Österreichs 1995 einen großen Aufschwung. Das Land wird für insgesamt zwei Perioden bis zum Jahr 2006 Ziel-1 Gebiet und erhält große Förderungen von der EU, durch die das Land als Ganzes gestärkt werden soll. Eines der Projekte ist der Ausbau des wetterunabhängigen Gesundheits- und Kurtourismus. Der Erfolg lässt nicht auf sich warten, im Tourismus werden rasante Zuwächse verzeichnet.
Noch vor der EU-Osterweiterung kommt es zu grenzüberschreitenden Interessens- und Wirtschaftsgemeinschaften zwischen burgenländischen und ungarischen Regionen wie etwa die 1998 gegründete EuRegio West/Nyugat Pannonia.


NR. 6, 08.02.1995
Das Attentat von Oberwart
Mitten in dieser Phase des Optimismus und der Öffnung, nur ein Monat nach dem Eintritt Österreichs in die EU, richtet ein Attentat gegen Minderheiten im Burgenland schweres Unheil an. Es ist der grausame Höhepunkt einer Serie von rassistisch motivierten Anschlägen in ganz Österreich, erst zwei Jahre später, 1997, wird der Täter Franz Fuchs verhaftet. Am 4. Februar 1995 sterben in Oberwart vier Roma durch eine von ihm gelegte Rohrbombe, einen Tag später wird in Stinatz ein Mann durch eine Bombe verletzt, die für die Grün-Politikerin Terezija Stoisits bestimmt war.

Dabei hatte sich das Miteinander der Volksgruppen im Burgenland gegen Ende des 20. Jahrhunderts, nicht ohne heftige Kontroversen und Rückschläge, endlich positiv entwickelt. Am 7.7.1976 bereits war das Volksgruppengesetz beschlossen worden, das allerdings den Minderheiten selbst wenig Kompetenzen einräumte, auf viel Kritik stieß und wenig bewirkte. Die Minderheiten kämpften in der Folge weiter für ihre Rechte und organisierten sich auch untereinander.
Bis in die 90er Jahre hat sich ihre Situation entscheidend verändert. Seit 1993 werden, nach Kroaten und Ungarn, endlich auch Roma und Sinti als eigene Volksgruppe anerkannt. Die Zugehörigkeit zu einer Minderheit wird nunmehr mit Selbstbewusstsein vertreten, Kultur und Sprache werden gepflegt. So ist Ungarisch zu sprechen in Zeiten der Ostöffnung kein Makel mehr, sondern eine beneidenswerte Fähigkeit. Mehrsprachiges Regionalradio ist eine Selbstverständlichkeit.
Daran können auch die heftigen Diskussionen um die zweisprachigen Ortstafeln, die ab dem Jahr 2000 aufgestellt werden, nichts ändern. Seit Mitte der 80er Jahre gibt es Schulen mit Minderheitensprachen als (Wahl-)Pflichtfach, 1996 wird in Oberwart das erste „Zweisprachige Gymnasium“ mit deutsch/kroatischen und deutsch/ungarischen Klassen eröffnet. Seit dem burgenländischen Minderheitenschulgesetz aus dem Jahr 1994 können Schulen auch Romanes-Klassen führen.

Im Jahr 2000 erschüttert der Bank Burgenland-Skandal das Land. Hans Niessl übernimmt die Verantwortung innerhalb der SPÖ und folgt Karl Stix als Landeshauptmann. Bei den Wahlen 2005 erreicht Hans Niessl mit seiner SPÖ die absolute Mehrheit.

Die Ost-Erweiterung der Europäischen Union im Jahr 2004 macht das Burgenland wieder zu einem Platz im Zentrum Europas, zu dessen größten Stärken die ethnische Vielfalt und das Selbstverständnis als Brücke zwischen Osten und Westen zählen.
Diese Stärken und der Platz im Zentrum Europas tragen dazu bei, dass das Burgenland 2007 mit 90.000 einen neuen Beschäftigungsrekord erzielt (im Vergleich: 1960 waren es noch 33.600 Beschäftigte). Sichtbare Zeichen des Aufschwunges sind die Technologiezentren ebenso wie die Fachhochschulen und ein umfassendes Wellness-Angebot in zahlreichen Thermen. Auf die Zukunft setzen heißt im Burgenland auch das erste Land zu sein, das bei den Landtagswahlen 2005 Wählen mit 16 umsetzt. Kulturell begeht das Burgenland 2009 das Haydn Jahr – und 2011 wird der 200. Geburtstag von Franz Liszt einen weiteren Höhepunkt im Kulturprogramm des Burgenlandes darstellen.

Geschichte des Burgenlandes

  • I. Ein Bundesland wächst heran

    Zur Jahreswende 1921/22 kommt das Burgenland als „selbständiges, gleichberechtigtes Bundesland“ zur Republik Österreich. Die ersten Jahrzehnte sind geprägt von wirtschaftlichen Problemen und Identitätssuche.
    Erste Ansätze, sich als Naherholungsgebiet für die Wiener zu präsentieren, sind erfolgreich. 1934 wird auch hier die Demokratie abgeschafft, die Austrofaschisten übernehmen wie in ganz Österreich die Macht.

  • II. Das Burgenland zur Zeit des II. Weltkrieges

    Das Burgenland wird nach Machtübernahme der Nazis zwischen dem Gau Niederdonau und der Steiermark aufgeteilt. Nicht-Arier und politische Gegner werden wie im ganzen Reich verfolgt.
    Zu den Opfern der nationalsozialistischen Massenvernichtungspolitik gehören außer den Juden auch die Roma und Sinti. Am 29. März 1945 überschreitet die Rote Armee die Grenze des ehemaligen Burgenlandes.

  • III. Am Rand Europas

    Die Folgen des verheerenden Kriegs und die sowjetische Besatzung machen den Neuanfang schwierig. 1956 leisten die Burgenländer dennoch großzügige Nachbarschaftshilfe, als Zigtausende Ungarn über die Grenze fliehen.
    Die Errichtung des Stacheldrahtzauns isoliert das Burgenland. Ende der 50er /Anfang der 60er Jahre geht es aber wirtschaftlich deutlich aufwärts, damit einher geht auch ein Aufschwung in Kultur und Wissenschaft.

  • IV. Zurück ins Zentrum Europas

    Der Höhenflug hält – unterbrochen von Skandalen in den 80er Jahren - an. Endlich können auch die Volksgruppen im Burgenland wichtige Forderungen durchsetzen.
    Ein furchtbarer Schlag sind die Bombenanschläge von Oberwart und Stinatz 1995. Die Isolation des Burgenlandes wird um die Jahrtausendwende beendet. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs rücken der EU-Beitritt Österreichs und vor allem die EU-Osterweiterung das Burgenland wieder in die Mitte Europas